PERFEKTE INSTRUMENTE

Essay zum Einfluss von IT und deren technokratischen Kontextes auf menschliche Selbstwahrnehmung, geschrieben 2003 für das Magazin the muse apprentice guild

text | translation into english  alexandra reill | vienna 2003 
production kanonmedia | vienna 2003
publisher august highland / the muse apprentice guild | new york city | us | winter 2003

PERFEKTE INSTRUMENTE
(the influence of IT in its technocratical context on human
self-perception)

Wie sehr foerderten die Umwaelzungen von Technokratismus und Globalisierung den durchgaengigen Rueckfall in alte Muster…

Das angeblich neue Zeitalter, schon laengst IT getauft, segelte, Rezession inkludiert, auf vollem Erfolgskurs. Noch eine Weile wuerde es dem Groessenwahnsinn, dem archaischen Aberglauben an die menschliche Allmacht, der sich zu einem skrupellosen Kapitalismus entwickelt hatte, als neues Wundermittel dienen.

Alle Aufklaerung war wirkungsvoll dazu eingesetzt worden, die Ratio zum einzig existierenden Gott zu erklaeren. Die Herrschaft der Logik hielt Besitz und Eitelkeit fuer jene Millionen von Menschen als Dank bereit. Und sie vergoetterten sie. Noch immer war es ein Zeitalter der maennlichen Kriegsspielzeuge, das einseitigem Kampf und unbedingter Macht diente.

Spielerische Analogie, intuitive Assoziation, lachender Spass, tolerierendes Verstehen und naehrende Ruhe waren in einer Welt des Leistungsansporns nicht gefragt. Sie wurden nicht mehr gebraucht, hielten den Prozess, den Fortschritt nur auf, behinderten mit Langsamkeit und Ineffizienz den Sieg der Logik ueber den Tod, den Religion und Philosophie, Kunst und Kultur, Spiel und Leidenschaft mit all ihren Toren zur Sublimierung des letzten Lebensraetsels immer zuwege gebracht hatten.

Nun mussten sie sterben, die Analogie und all ihre Freunde, standen dem unabdingbaren Siegesschlag, der Digitalisierung, der Zerstreuung, der Fragmentierung von Mensch und Seele viel zu massiv im Weg. Ein Verraeter war sie, diese analoge Seele, die Ganzheit wollte, die Ganzheit war, und zum Tode musste sie verurteilt werden, wollte der dem Menschen unvertraegliche Daemon Macht siegen.

So genannte Sachzwaenge der Technokratisierung boten die ideale Grundlage fuer die Prohibition aller demokratischen Entwicklung von Menschenrechten. In perfekter Manier beinhaltete das IT – Zeitalter alle fuer eine erfolgreiche Wiederbelebung altklassisch – patriarchalischer Machtstrukturen notwendigen Argumente. Sie mussten nicht einmal diskutiert werden. Millionen von Menschen folgten freiwillig, ohne Kritik zu aeussern, ja ohne den geringsten Zweifel zu erheben. Die Sucht nach egozentrischer Geltung und uneingeschraenkter Allmacht oeffnete jeder Unterdrueckung alle Tore. Gier – eingebettet in fiktive Sicherheit, wie sie ein Konsumzeitalter vermittelte – diente als perfektes Instrument. Die Werkzeuge, um mitspielen zu koennen, musste jeder besitzen.

Ein christlicher Aberglaube, ein System der Philister, entwickelt bis zum Exzess, wo es doch diesen so gerne verfaemte. Es war so einfach, jeden Menschen dazu zu bringen, sich schuldig und wertlos zu fuehlen, die Maschine erfuellte ihren subversiven Zweck der Konditionierung hervorragend. Immer schien der Prozessor dem menschlichen Gehirn einen Schritt voraus zu sein. Immer war er um einen Schritt schneller. Die falsche Schlussfolgerung, dass das binaere System, durchgezaehlt in solcher Geschwindigkeit, deshalb klueger war als die mannigfaltigen Funktionsweisen des menschlichen Gehirns, war schnell getroffen worden. In aller Eile – schon, um Schritt halten zu koennen.

Unbeachtet verblieb die Vielschichtigkeit von Verstehen und Wahrnehmung, Fuehlen und Tun.

Als Mensch war gegen den Computer nie zu gewinnen, er wusste immer, was er tat, liess keinen Zweifel, keinen Irrtum, keine Variation, keine Abweichung zu. Der Kampf war aufreibend und endlos, der Ausfall gueltiger Erfolgserlebnisse vorprogrammiert, der Tod analogen Fuehlens, intuitiven Schaffens, unbewussten, spontanen Handelns, erfolgreich inszeniert durch den Ersatz Maschine.

Diffamiert verblieb die Vielschichtigkeit von Verstehen und Wahrnehmung, Fuehlen und Tun.

Differenzierung und Kritik waren immer schon der Feind jeder Industrialisierung, jeder Monopolisierung gewesen. Nun waren auch das sinnliche Erleben, das Leben selbst zum Feind geworden. Eine Millionenschar freiwilliger Serienarbeiter, Generationen neuer Fliessbandarbeiter waren dem Willen zur Macht viel dienlicher.

Fuer den alten Glauben an die Allmacht musste bezahlt werden. Physische Stoerungen hinterliess der Computer, die der Mensch sich selbst anlasten konnte, und ueber die er am besten gar nicht sprach, sie geheim hielt, um nicht aufzufallen, um nicht als subversives Element zu gelten in einem Zeitalter neuer, alter Eroberungseuphorien. Von Rueckwirkungen auf Selbstbefindlichkeiten gar nicht zu sprechen … um Begriffe wie Selbstentfremdung gar nicht zu nennen. Eine perfekte Rueckkopplung, eine perfide Rueckwirkung, die nicht hinterfragt wurde, die persoenlich genommen wurde statt als gesellschaftliches Phaenomen verstanden zu werden.

Stunden um Stunden beschaeftigte die Maschine den Menschen, hatte immer Prioritaet. Als ob sie sein bester Freund wa[e]r[e]. Manchmal aergerten sich die Menschen ueber die Maschine, aber immer konnten sie in ihr, in sich selbst versinken, mussten nicht kommunizieren, mussten mit ihrer Energie nicht nach aussen treten, konnten Isolation und Weltbilder fraglos aufrecht erhalten. Immer konnten sie sich zugestehen, dass die Arbeit an der Maschine Leistung, Erfolg bringe, selbst wenn sie nie zu perfekten Ergebnissen fuehrte. Es war eben ein Arbeiten ohne Ende, anders war es eben nicht, konnte es nicht sein…

Aber es war nicht zu uebersehen: Stoerungen einfacher Wohlbefindlichkeit und sinnlichen, ganzheitlichen Empfindens, Spuerens wurden massiv durch die Maschine Computer gefoerdert und waren in einem Mangel an Sinnlichkeit, physischen Erlebens, assoziativen Erspuerens, Beruehrens und einfacher, analoger Freude begruendet. Und es war noch immer wahr: die fiktive Suche nach dem Mehr, nach der Macht, nach Allmacht regierte mehr denn je die Welt. Selbst wenn sie nichts anderes war als Gier.

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