Plot Draft für einen Spielfilm, erzählt nach dem Märchen von Hans Christian Andersen, mit der Idee, die Handlung auf Mali Lošinj in der sommerlichen Hauptsaison zu inszenieren und zu drehen, mit einer zentralen Station in Form eines Zelts auf dem Hauptplatz des Ortes, in dem sich TouristInnen als SchauspielerInnen bzw. KomparsInnen für einen bzw. die nötige Anzahl an Drehtag/ en casten lassen können.
idea / concept | plot alexandra reill 2003
production kanonmedia | vienna 2003
Die roten Schuhe
Frei erzaehlt nach Hans Christian Andersen
Von Alexandra Reill
Personae:
Lucie: 7 / 18 Jahre jung
Die alte Graefin: 70 / 88 Jahre alt
Der Kutscher: 60 Jahre alt
Der Schuhmacher: 30 / 48 Jahre alt
Das Dienstmaedchen: 18 / 36 Jahre alt
Der Landarzt: 55 / 73 Jahre alt
Die Schneider: 40 Jahre alt
Der Koch: 50 / 68 Jahre alt
Die Koechin: 50 / 68 Jahre alt
Der Schuldirektor: 60 Jahre alt
Die Freundinnen: 18 Jahre jung
Der Gaertner : 45 / 63 Jahre alt
Die Frau des Gaertners: 25 / 43 Jahre alt
Winter war es, Schnee bedeckte die Landschaft. Auf einer Landstrasse wanderte ein armes verwaistes Maedchen. Nichts besass es ausser ihrem weissen Kleidchen, schmutzig und zerrissen, und einem loechrigen Buendel, in dem sie Brotkrumen, ein Bild ihrer verstorbenen Mutter und eine kleine Madonnenstatue aufbewahrte. Und da gab es noch ihre roten Schuhe, die sie aus alten Lumpen und Lederresten selbst zusammengeflickt hatte.
Kaum noch konnte sich das Maedchen auf den Beinen halten, so hungrig war es und so sehr fror es. Verzweifelt und erschoepft von der ewigen Wanderung und der beissenden Kaelte setzte sie sich an den Wegrand, zu muede, um die harte Rinde alten Brotes aus ihrem Buendel hervorzukramen.
Die Pferde weckten das Maedchen mit ihrem Wiehern, als die gueldene Kutsche der alten Graefin anhielt, aber Lucie konnte kaum noch hochblicken, als die vornehme Graefin fragte, was sie denn hier mache. Muehe bereitete es den alten Knochen der Graefin, aus der Kutsche auszusteigen und sich zu dem kleinen Maedchen hinab zu beugen. ‘Hier kannst du nicht bleiben, mein Kind, du wirst erfrieren’, fluesterte sie ihr ins Ohr und winkte dem Kutscher, das Maedchen, das nicht mehr aufstehen konnte, in den Wagen zu heben.
Auf dem Gut der alten Graefin angelangt, wurde das kleine Maedchen mit heisser Suppe gefuettert, heiss gebadet und in ein warmes Daunenbett gelegt. Tief und traumlos schlief das Kind in dem rosa dekorierten Kinderzimmer, in dem sie Plueschtiere und Puppen vorwurfsvoll anblickten, als waere sie viel zu lange fortgewesen.
Nach drei Tagen hatte sich das hohe Fieber gesenkt, und dank der eifrigen Obhut des Landarztes und des beflissenen Dienstmaedchens erwachte das kleine Maedchen, noch immer schwach, aber mit rosa Wangen. So war der Moment gekommen, da die alte Graefin sich an das Kinderbett setzen und das Maedchen nach ihrem Namen fragen konnte. Doch das Kind konnte sich ihres Namens nicht entsinnen. ‘So sei dein Name Lucie, Lucie wie das Licht’, laechelte die alte Graefin das Kind an.
Ob Lucie in ihrem Hause wohnen bleiben wolle, fragte sie dann das Kind. Sie koenne fuer immer bleiben, wenn sie wolle, fuer Ausbildung und ein pflegliches Leben wuerde gesorgt werden, und die alte Graefin wuerde freuen, wenn ihr Lucie die Zeit ein wenig vertreiben wuerde, und ihr spaeter einmal aus den vielen alten Buechern in der Bibliothek vorlesen wuerde.
Mit grossen Augen blickte sie das Maedchen an. Sie fuerchtete und freute sich in einem, wusste vor Staunen gar nichts sagen und wusste nicht, welche Zukunft stand ihr bevor.
Am naechsten Tage schon kamen die Schneider, die Kleidchen aus bestem Tuch fuer das kleine Maedchen fertigten, und der alte Schuhmacher wurde bestellt, um Lucie feine schwarze Lackschuehchen anzuprobieren. Da fielen dem Kind ihre roten Lumpenschuhe ein, die sie immer so geliebt hatte, und sie fragte das Dienstmaedchen nach ihnen. ‘Ach, der Graefin graute vor den alten Lumpen, wir warfen sie ins Feur!’, antwortete die Magd beflissen. Bitterlich fing das kleine Maedchen zu weinen an, und eine ganze Stunde lang vermochte niemand, sie zu troesten.
Die Jahre vergingen. Aus der kleinen Lucie war ein grosses Maedchen geworden, huebsch und ansehnlich wie eine Rosenbluete war sie. In der Schule war sie immer fleissig gewesen, taeglich las sie in der Bibliothek der alten, alten Graefin aus den ledergebundenen Buechern vor, aber am liebsten waren dem Maedchen die schoenen Stunden in ihrem Zimmer, wo sie vor dem Spiegel sich drehte und wendete, Tanzschritte und Spruenge uebte, Lieder im Drehen erfand. Die Graefin schaetzte es nicht, wenn sie sich so ungestuem bewegte, sie sollte sich immer gut benehmen, so hielt sie die Stunden des Tanzens und Singens vor Graefin und Personal immer geheim.
Die alte Graefin hatte ein hohes Alter erreicht, Lucie war ihr Ein und Alles geworden, so sehr war ihr das Maedchen ans Herz gewachsen, als waere sie ihr eigen Blut. Stolz war sie auf das schoene und kluge Maedchen, zu dem sie die kleine Waise herangezogen hatte.
Der Tag naeherte sich, an dem der grosse Schulball stattfinden sollte, die Schlussfeier nach langen Jahren der Schule, die Lucie immer mit glaenzenden Noten bestanden hatte. Die Graefin fuhr mit Lucie in die Stadt, um sie fuer den festlichen Anlass einzukleiden.
Sie besuchten die Schneider und bestellten ein weisses Seidenkleid, und beim alten Schuhmacher orderte die Graefin schwarze Lackschuhe. Lucie stand neben ihr und hoerte gar nicht mehr zu, so verzaubert war sie von den roten Lackschuhen mit den schmalen Zierbaendern, die der Schuhmacher auf dem hoelzernen Regal stehen hatte. Als die Graefin sich schon zur Tuer wandte, deutete Lucie dem Schuhmacher, ihr das Paar zu reichen, ohne dass es die alte Graefin bemerkte. Der Schuhmacher verzog das Gesicht, aber er tat Lucie den Gefallen und verwickelte auch noch die Graefin in ein Gespraech ueber den bevorstehenden Ball, damit Lucie die roten Schuhe unbemerkt anprobieren konnte.
Sie setzte sich auf den Boden und schluepfte in das glaenzende Paar Schuhe, das wie massgeschneidert sass. Mit strahlenden Augen blickte Lucie den Schuhmacher an, so fasziniert war sie von den Lackschuhen. Unbedingt wollte sie sie behalten, so verliebt war sie in die Schuhe, dass sie die alte Graefin unbedingt davon ueberzeugen musste, sie zu kaufen. Flink sprang sie auf und berichtete der alten Dame von den schwarzen Lackschuhen, die sie auf dem Regal entdeckt hatte, und die so genau passten, dass der Schuhmacher gar kein Paar mehr anfertigen brauchte.
Das Augenlicht der alten Graefin war schon so schwach, dass sie die wirkliche Farbe der Schuhe nicht mehr erkennen konnte. Aber der Stimme Lucies konnte sie entnehmen, wie gluecklich das Maedchen war, und so stimmte sie dem Kauf gerne zu. Der alte Schuhmacher hatte wohl ein schlechtes Gewissen, aber er war froh, die roten Lackschuhe zu verkaufen, bisher waren sie jeder Kundin zu auffaellig gewesen. So verpackte er die roten Schuhe sorgfaeltig und zwinkerte dem Maedchen noch einmal zu, als sie Freude strahlend sein Geschaeft verliess.
Noch auf dem Weg nach Hause bat Lucie die Graefin, die Schuhe gleich am naechsten Tag, zu den letzten Unterrichtsstunden, anziehen zu duerfen, sie wolle sie eintragen. Die Graefin lehnte ab, schliesslich waren die schoenen Schuhe fuer den Ball gedacht. Lucie schmollte ein wenig, aber sie war so gluecklich ueber die roten Schuhe, dass sie, zuhause angelangt, gleich in ihr Zimmer lief, sie anzog und die feinen Baendchen um ihre Knoechel knotete. Sie tanzte, die schmale Lucie, und hatte das Gefuehl, als wuerde sie noch schoener und beschwingter als sonst tanzen, so gluecklich war sie.
Am naechsten Morgen war Lucie eher als sonst wach, sie sprang aus dem Bett und lief in die Kueche, um dort schnell zu fruehstuecken, damit sie mehr Zeit zum Anziehen hatte. Es liess ihr keine Ruhe, unbedingt wollte sie die roten Schuhe schon heute anziehen und ein besonders buntes Kleid dazu aussuchen. Auf ein sonnengelbes Kleid fiel schliesslich ihre Wahl und, einmal probiert mit den roten Schuhen, zog sie die Lackschuhe wieder aus, versteckte sie in der Schultasche, und schluepfte in ihre alten Ballerinas.
Auf dem Weg in die Schule sass Lucie in der Kutsche und tauschte die Schuhe aus. Kaum hatte sie die roten Schuhe angezogen, stimmte sie ein froehliches Lied an und strampelte dazu mit ihren Fuessen, so ungestuem, dass sie der Kutscher von draussen zu besserem Benehmen ermahnen musste. Doch Lucie hoerte gar nicht auf ihn, sang froehlich weiter, und sprang, vor der Schule angekommen, hurtig aus der Kutsche, um flink in das Gebaeude zu laufen, ohne dem Kutscher noch Beachtung zu schenken, so stolz war sie auf ihre Schuhe, dass sie nicht abwarten konnte, sie den anderen Maedchen vorzufuehren.
Am Abend wartete der Kutscher vor der Schule und erfuhr auch gleich von dem Aufruhr, den die roten Schuhe in der Schule ausgeloest hatten. Die roten Schuhe hatten rechtes Aufsehen erregt. Die Buben hatten Lucie mit frechen Bemerkungen aufgezogen, die Maedchen hatten Lucie umringt und hatten wissen wollen, woher sie denn die Schuhe habe. Ganz neidig waren sie alle geworden, so ungewoehnlich und auffaellig waren die Schuhe und so stolz war Lucie gewesen.
Den ganzen Weg ueber schimpfte der Kutscher mit Lucie, und zuhause berichtete er sofort an die Graefin. Die rief Lucie zu sich und machte dem Maedchen lange Vorhaltungen. Nie waere sie davon ausgegangen, dass sie das Maedchen jemals hintergehen wuerde, und nie haette sie gedacht, dass sie so eitel und schamlos sein koenne. Lucie muesse in sich gehen, und zur Strafe duerfe sie den Schulball nicht besuchen. Sie habe Hausarrest, und nicht zuletzt vergass die Graefin nicht, Lucie damit zu drohen, dass sie das Gut verlassen muesse, wenn sie die Graefin auch nur einmal noch zu hintergehen versuche.
Das Dienstmaedchen bekam Weisung, Lucie auf ihr Zimmer zu bringen, die roten Schuhe an sich zu nehmen und im Zimmer der Graefin in den alten Schrank zu sperren. In ihrem Bustier bewahrte die Graefin selbst den Schluessel zum Schrank auf, dort solle er bleiben, bis der Schulball stattgefunden hatte.
Weinend und zerknirscht sass Lucie in ihrem Zimmer, kauerte sich auf ihrem Bett ganz klein zusammen. Immer wieder warf sie einen Blick auf die Tuer. Die ganze Woche ueber war sie uebel gelaunt, alle Freude und aller Stolz waren verflogen. Nicht einmal das geliebte Tanzen und Singen machten ihr Spass und auch nicht die Besuche der Schulkameradinnen, die sie empfangen durfte und deren einziges Gespraechsthema natuerlich der grosse Ball war. Alle Muetter seien schon emsig mit dem Naehen der ersten Ballkleider der Maedchen beschaeftigt, erzaehlten Lucies Freundinnen, die nunmehr ihrerseits stolz waren und auch ein bisschen haemisch, denn sie wussten genau, dass die alte Graefin Lucie nie im Leben gestatten wuerde, am Ball teilzunehmen.
Je naeher der grosse Festtag rueckte, desto unruhiger wurde sie. Das schlechte Gewissen, die Graefin hintergangen zu haben, war verflogen, und alle moeglichen Ideen, wie sie an ihre roten Schuhe gelangen koennte, beschaeftigten Lucie Stund ein, Stund aus. Und verzweifelt ueberlegte Lucie, wie sie sich aus dem Gutshof davonstehlen konnte. Dann kam ihr eine Idee.
Sie bezirzte die Frau des Gaertners, die Mitleid mit dem jungen Maedchen hatte, ihr aus Resten der Vorhangseide ein Ballkleid zu naehen. Aber sie musste noch an ihre roten Schuhe, an den Schluessel der Graefin kommen. So beschloss sie, die Stunde des Bades zu nutzen, da dies die einzige Zeit war, in der die alte Dame den Schluessel unbeaufsichtigt in ihrer Kleiderkammer zurueckliess. So schlich sich Lucie in die Kleiderkammer der Graefin. Fast haette sie vor Schreck aufgeschrien, als sich die Graefin im Bad drehte und ungeduldig nach dem Dienstmaedchen rief. Schnell versteckte sich Lucie hinter dem Stuhl mit der Graefins Kleidung und machte sich ganz klein, als die Magd hurtig durch die Kleiderkammer ins Bad huschte, um der Graefin den Ruecken zu schrubben. Indes kramte Lucie den Schluessel aus der Graefins Brusttasche hervor und lief eilig, auf leisen Sohlen, in das benachbarte Schlafzimmer, wo sie den Schluessel im Schloss drehte, die knarrende Tuere oeffnete und die roten Schuhe mit einem flinken Griff an sich nahm. Im Bad plaetscherte das heisse Wasser in die Wanne, und Lucie verschloss den Schrank, schlich sich noch einmal in die Kleiderkammer zurueck und tat den Schluessel, wo sie ihn hergenommen hatte. Niemand hatte sie bemerkt, und Lucie, in ihrer Kammer angelangt, versteckte atemlos die roten Schuhe unter ihrem Bett.
Es war die Nacht des Balls. Als ihr das Dienstmaedchen am Abend die taegliche Honigmilch gebracht hatte, hatte sie sie zum Fenster hinausgegossen und sich muede gestellt, als die Magd kam, um das leere Glas zu holen und sie zuzudecken.
Niemand bemerkte, wie aufgeregt sie war – dass ihr Plan nicht klappen koennte, dass sie auf dem Ball mit den roten Schuhen tanzen wuerde. Ein wenig Schadenfreude hatte die Magd nicht ganz verbergen koennen, als sie das leere Milchglas geholt und Lucie eine gute Nacht gewuenscht hatte.
Als Ruhe in den Gutshof eingekehrt war, kletterte Lucie aus dem Bett, holte das Ballkleid, das ihr die Gaertnerin genaeht hatte, aus der Kommode und die roten Schuhe unter dem Bett hervor und schluepfte hinein. Sie frisierte sich, so huebsch sie konnte, und legte sanften Duft an. Lucie war schoen wie eine Lilie.
Vorsichtig kletterte sie aus dem Fenster und lief durch den Park Richtung Dorf. Sie musste den Wald durchqueren, ein bisschen fuerchtete sie sich, aber die Freude liess sie mutig in die Dunkelheit laufen.
Da stand pleotzlich der Henker mit seinen beiden schwarzen Doggen vor ihr. Lucie schrie auf. Die Doggen fletschten ihre riesigen Zaehne und knurrten Lucie an. Sie erstarrte vor Angst. Doch der Henker befahl den Hunden zu schweigen und strich Lucie zaertlich ueber die Wange. ‘Wie schoen du bist …’, sagte er und betrachtete sie eingehend. Lucie wurde ganz mulmig zumute, als sich der Henker vor ihr niederkniete und sanft ueber die roten Schuhe strich. ‘So allein auf weiter Flur … du willst wohl auf den Ball, mein Maedchen. So tanze, Lucie, tanze, auf dass dich keiner aufhalte …’ Lucie lief los, in den Wald hinein, lief so schnell sie konnte, denn ihre Angst war gross.
Noch schneller lief sie, als sie die Lichter des Dorfes vor sich liegen sah, und ganz erleichtert, als sie die erste Haeuserzeile erreichte. Ihre Angst verflog, und die Vorfreude auf den Ball liess sie schon gluecklich laecheln, als sie am Rathaus ankam.
Schon beim Hineinlaufen fing sie an, Tanzschritte zu ueben, und im Festsaal lief sie gleich auf den Tanzboden und tanzte Walzer, ganz fuer sich alleine. So schoen war sie und so behende tanzte sie, dass bald ein Juengling nach dem anderen sie aufforderte, und sie tanzte und tanzte, stundenlang, leidenschaftlich, strahlend vor Glueck und stolz ob ihrer Schoenheit und der Begeisterung, die sie rundum ausloeste.
Doch die Verehrer wurden muede, Lucie tanzte noch weiter, aber alleine zu tanzen fuehlte sich nicht mehr so schoen wie zu Anfang an, und Lucie beschloss, sich zu setzen. Ein wenig erschoepft war sie doch auch, und liess sich auf einen der goldenen Stuehle fallen. Aber da geschah etwas Merkwuerdiges – ihre Fuesse tanzten weiter, wollten nicht aufhoeren, machten noch immer einen Schritt und einen Schritt mehr, blieben im Takt, als wuerden sie nie genug bekommen von der Walzermusik.
Lucie erschrak, verhohlen sah sie sich um, ob jemand ihr Missgeschick bemerkte, und schnell sprang sie wieder auf, tanzte noch ein wenig auf der Stelle, um nicht aufzufallen, laechelte, wollte aus dem Ballsaal schreiten, aber sie konnte nicht, sie musste hinaustanzen. Froh war sie, als sie auf dem Platz vor dem Rathaus landete, wo keiner mehr war, wollte sich, wirklich schon muede, auf die Stufen setzen, aber es ging nicht, es ging nicht, ihre Fuesse tanzten einfach weiter.
Da ergriff Lucie panische Angst, Traenen fuellten ihre Augen, sie wollte nur mehr nach Hause. Der Weg fuehrte sie wieder in den Wald, diesmal tanzte sie durch den Wald, konnte nicht aufhoeren, begann laut zu schluchzen, zu weinen, zu schreien, flehte ihre Fuesse an, doch innezuhalten. Aber ihre Fuesse tanzten und tanzten, trieben sie immer weiter in den Wald hinein, ueber Stock und Stein, Lucies Koerper taumelte, sie wusste nicht mehr, wo sie war, sie stolperte, fiel immer wieder hin, raffte sich auf, ihre Fuesse trieben sie immer weiter, und die roten Schuhe waren gnadenlos, fanden keine Ruhe.
Da strahlte in der Ferne warmes Licht aus einem Fenster, und die roten Schuhe schienen auf das alte Holzhaus zuzutanzen. Lucie fasste ein wenig Hoffnung. Es war das Haus des Henkers, und je naeher Lucie kam, desto lauter klaefften die wilden Hunde in ihrem Zwinger. Aber Lucie konnte sich gar nicht mehr vor den Hunden fuerchten, sie musste schaffen, an die Tuer des Henkers zu klopfen. Keuchend erreichte sie das Haus, tanzend warf sie sich gegen die Tuer, trommelte mit ihren Faeusten gegen das Holz, schrie nach dem Henker.
Als er schliesslich die Tuer oeffnete, blickte er sie nur ernst an. ‘Es ist der Tanz, nicht wahr?’, sagte er ganz ruhig. ‘Ich habe versucht, sie auszuziehen, aber sie sind wie verwachsen mit meinen Fuessen!’, rief Lucie verzweifelt, ‘Du musst mir helfen!’ Langsam fasste der Henker seine Worte: ‘Ich kann dir nicht helfen, mein Maedchen, es ist der Tanz, es ist der Tanz selbst.’ Da wurde auch Lucies Blick immer ernster. Mit trockenen Augen tanzte sie weiter und blickte ihm tief in die Augen.
‘So wirf meine Fuesse den Hunden zum Frass vor’, sagte sie dann. Erschrocken wich der Henker zurueck. ‘Doch, doch, tu es, du musst es tun.’ Entsetzen ergriff den Henker, er weigerte sich, versuchte, mit Lucie zu handeln, aber sie gab nicht mehr nach, so wenig, wie ihre Fuesse nachgaben, und Lucies Ernst wuchs und wuchs. Da tat er, was er tun musste, und hetzte seine beiden Doggen auf Lucies Fuesse.
Das Blut floss, die Schmerzensschreie Lucies und das Geheul der Hunde durchdrangen den Wald. Der Henker zitterte am ganzen Leibe. Lucie lag in einer Lache aus Blut, und es hoerte nicht auf, aus ihren Beinen zu stroemen. Da wurden sogar die Hunde ruhig.
Der Henker entriss sich dem furchtbaren Anblick und stuermte ins Haus, um Lucie zu verarzten. Das rote, brennende Jod entlockte Lucie keine Schmerzen mehr. Der Henker redete ohne Unterbrechen auf Lucie ein, sie werde bei ihm bleiben, er wuerde sie gesund pflegen. Lucie blieb eine ganze Weile regungslos, dann bat sie ihn, sie fuer die Nacht bei sich aufzunehmen. Der Henker trug sie ins Haus, legte sie in die Kammer und wachte bis in den fruehen Morgen neben dem blassen Maedchen, legte immer wieder sein Ohr an ihren Mund, betend, dass sie noch atme.
‘Fuerwahr, nun habe ich genug gelitten. Jetzt moechte ich glauben, dass ich ebensogut bin wie all jene Reichen, denen es gut geht, die wissen, wo sie hingehoeren, und die immer so hochmuetig auf die anderen herabschauen …’, murmelte sie im Morgengrauen. Der Henker hoerte nicht auf, in ihr Ohr zu fluestern, sie zu bereden. Er werde sie gesund pflegen, es werde alles gut. Still hoerte Lucie eine ganze Weile zu, bis sie ihn bat, ihr feste Kleidung zu geben und ihr Holzkruecken zu zimmern.
Sie zog in die Ferne. Nichts konnte Lucie halten. Sie schlug sich durch den Wald, oft schreiend vor Schmerzen, als ein Krueppel ohne Fuesse. Langsam, nur langsam verheilten die Wunden.
Es dauerte Jahre, bis Lucie den Wald verliess, der sie mit Beeren und Wurzeln genaehrt hatte. Dann wagte sie sich wieder auf die Landstrassen, in die Gegenden ihrer Kindheit, sass wieder am staubigen Strassenrand, bettelnd um Brotkrumen, die ihr Reisende gnaedig abtraten.
Epilog:
Manchmal begann sie ein Gespraech mit den Frauen, die an den Brunnen jenseits der Doerfer ihre Waesche wuschen, doch meist musste sie feststellen, dass es keine Beruehrung gab. Dann zog sie weiter. Eines Tages jedoch schloss sich ihr ein kleiner goldiger Welpe an, der sie fortan als treuer Freund begleitete und mit dem sie oft am Strassenrand in der warmen Sonne sass.
The Red Shoes supported by
The Red Shoes was aiming at co-financing by the Austrian Film Institute, Vienna Film Fund, the Ministry of Culture of the Republic of Croatia and agencies for tourism promotion in Croatia and Istria and the island of Lošinj, respectively; the concept remained unrealized and has not been suggested to any funding institutions.